Mittwoch, 7. Februar 2018

Groovy

Ich stehe vor dem Woolworth und betaste ein in dünne Plastikfolie verpacktes Schaffell. Eigentlich suchte ich ein Maßband und wurde hier her geschickt, „Gehn’se mal zum Wollwert“, und da sah ich diesen Stapel Schaffelle. 1 x 2 Meter misst eines, es hat Gummizüge an den Ecken, man soll es sich über die Matratze spannen. Ich frage mich, ob das echtes Fell ist. Ein Schaf mit Matratzenmaßen. Ein Kistenschaf. Eine plüschige Box mit vier Beinen drunter. Ich muss etwas kichern. Ich drücke zögerlich die Packung mit dem Zeigefinger ein in der Hoffnung, dass sie mir etwas enthülle, das meiner wankenden Kauflaune den entscheidenden Drall gibt, aber nichts geschieht. Den Zuschlag erhält dann der knallrote Preisaufkleber, 7,99 Euro, was kann da schief laufen? Es soll für unsere neue Couch sein, für unseren nächsten gemeinsamen Abend. Du, ich, die Tochter, die Katze, alle sollen sich in das Fell wühlen und sich freuen. Es darf geschnurrt werden.
Als ich die Packung anheben will, erscheinen seitlich in meinem Blickfeld zwei Hände, die eine geöffnete Geldbörse und einen Autoschlüssel auf meinem Schaffell ablegen.
Eine schicke alte Dame, Marke Jetsetterin. Ihr haftet etwas an, das immer jungendlich wirken wird, ohne lächerlich zu sein. Schlank, stylische Klamotten, abgerockt, flusige Zerstreutheit und grenzenlose Souveränität. Eine Frau, die das Leben kennengelernt hat. Sie könnte im Plattenbau leben oder in einer Villa mit Park. Beides ist möglich, beides scheint angemessen. Es würde nichts ändern. Sie gibt mir zu verstehen, dass sie gerade am Geldautomaten Bares geholt habe und die Klientel dort ihr zu zwielichtig sei. Jetzt wolle sie hier, bei mir, in Sicherheit ihre Geldbörse wieder einräumen.
Ich freue mich, dass sie mich vertrauenswürdig findet, und schaue ihr zu. Sie sucht die Hülle ihrer EC-Karte und versucht zeitgleich, den gezogenen 50-Euro-Schein zu verstauen. Immer ist etwas im Weg, etwas in der falschen Hand, gerät ein Schnipsel in den Reißverschluss. Die Dame ist konfus. Ihr Wagenschlüssel - Audi, schwer - rutscht währenddessen langsam aber stetig die dünne Folie unseres neuen Schaffells herab Richtung Boden. Irgendwann ertrage ich die Spannung nicht mehr. Ich schnappe ihn mir und lege ihn wieder oben auf. „Der wäre gleich runtergefallen“, sage ich. „Ach wo“, sagt sie, nicht unfreundlich. Plötzlich sehe ich sie mit Gunther Sachs und seinem Gefolge auf Sylt Party machen. Ich ahne blonde lange Haare, gebräunte Haut und ein strahlend weißes Herrenhemd, nachlässig über den Bikini geworfen. Eine filterlose Zigarette zwischen schlanken Fingern, ein makelloser Sonnenuntergang am Strand der bisher verträumten Insel. Perlmuttene Übergänge im wolkenlosen Himmel.
Und im Winter dann die ganze Meute ab nach Sankt Moritz, Après Ski vor dem knisternden Kamin einer rattenscharfen Playboybude. Die Farben sind jetzt Gold und Braun, warm. Vor dem Kamin ebenfalls: Ein Schaffell, unser Schaffell.
Magic.
Dieses Ding mutiert vor meinen Augen zu einem Relikt aus Zeiten, in denen Deutschland ein einziges Mal cool gewesen war.
Meine ehemals blonde Fee hat jetzt ihre Sachen soweit gepackt und geschnürt und ihre Magie wirken lassen, und sie zieht ab, in den Plattenbau oder in die Villa, wer weiß das schon.
Ich schnappe mir das Fell und bringe es heim.
Fehlt nur noch der Kamin.

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